02.12.22
Von Froschfrauen und Nebenfrauen
Adventszeit ist Erzählzeit, aber wer Griseldis kennt, der weiß, dass sie keine behaglichen Kindergeschichten im Gepäck hat. Diesmal stieß sie für uns die Tür in die Welt der asiatischen Märchen einen Spalt breit auf und berichtete von sehr fremdartigen Dingen, Wesen und Menschen. Tom Weingärtner ließ sich davon zu vietnamesischen Frühlingsrollen und thailändischer Suppe inspirieren. Märchenzeit in der Villa, das bedeutet: Mit allen Sinnen genießen!
17.11.22
Im Gespräch: Inge Gräßle und Kay Scheller
Haushaltskontrolleurin trifft Haushaltskontrolleur – das hätte ein zäher Abend werden können, wurde es aber nicht. Dank der lebendigen und humorvollen Beschreibung der durchaus schockierenden Lage und dank der kundigen Moderation von Konrad Handschuch war es für die Gäste kein Problem, dem komplexen Thema neunzig Minuten lang zu folgen. Den ausführlichen Bericht finden Sie unterhalb der Fotos.
17.11.22
Zum Nachlesen
Im Gespräch: Inge Gräßle und Kay Scheller
In der Villa Weingärtner sprechen die Bundestagsabgeordnete aus Süddeutschland und der Chef des in Bonn ansässigen Bundesrechnungshofes über Deutschlands finanzielle Lage. Trotz der technischen Materie wird es ein spannender Abend. Lebendig und mit einem guten Schuss Galgenhumor liefern die beiden Zahlen und Fakten und dazu Ideen, was dringend geändert werden müsste. Konrad Handschuch, pensionierter Redakteur der Wirtschaftswoche, sorgt mit kundiger Moderation dafür, dass die Gäste dem komplexen Thema 90 Minuten lang aufmerksam zu folgen vermögen.
Fünfzehn Jahre saß Inge Gräßle im Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments, fünf davon als deren Vorsitzende. Auf die Frage des Moderators, wo die Unterschiede lägen zu ihrer jetzigen Arbeit im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, antwortet sie – mit einem Augenzwinkern, aber doch sehr ernst: „Vielleicht hätte ich früher nach Berlin kommen sollen. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es in der deutschen Politik so schlecht organisiert ist. In Brüssel gibt es einen eigenen Ausschuss für Haushaltskontrolle, dort befassen wir uns im Schnitt 15 Stunden pro Monat mit dem Etat – und noch einmal so lange im Haushaltsausschuss.“
In Deutschland gebe es nur den Haushaltsausschuss, der sei im Schnitt 10 Stunden pro Monat mit Ausgabenkontrolle befasst – für einen Etat, der drei Mal so groß ist wie der für die gesamte EU. Während Gräßle in Brüssel ihre Arbeit auf 8000 Seiten Verwaltungs- und Rechnungshofberichte über das abgelaufene Haushaltsjahr habe stützen können, gebe es in Deutschland nur den ca. 400 Seiten umfassenden Bericht des Bundesrechnungshofes. Es fehle an Managementdokumenten der Verwaltung, an Schwachstellenanalyse, Erfolgsprüfung von Programmen. „Wenn ich sehe, was in Brüssel an Betrugsbekämpfungsmechanismen in der Verwaltung eingezogen ist – das fehlt in Berlin völlig. Das macht mir Sorgen.“
Die Haushaltskontrolle erfolge in Deutschland viel zu pauschal, die Umsetzung von Programmen und deren Erfolg würden überhaupt nicht kontrolliert. Die Digitalisierung der Verwaltung, die dafür nötig sei, stecke in den Kinderschuhen. Deshalb könnten Unternehmen und Haushalte, die die hohen Energiepreise nicht stemmen können, auch nicht gerecht und zielgenau unterstützt werden. Auch die langwierigen Planungsverfahren seien ein Problem, um etwa Stromnetze zu modernisieren und mehr Windparks zu bauen. Natürlich müsse Bürgerbeteiligung sein, sie dürfe aber nicht alles blockieren.
Deutlich kritischer blickt Kay Scheller, Chef des in Bonn ansässigen Bundesrechnungshofes, auf die europäische Haushaltsdisziplin. Vor allem der neue Corona-Wiederaufbaufonds (NextGenerationEU) liegt ihm im Magen. „ Ein Topf von 800 Milliarden Euro – aus Perspektive der EU-Kommission sind ja auch Kredite Eigenmittel – wer kann kontrollieren, dass dieses Geld vernünftig ausgegeben wird?“ Demnächst käme wohl ein europäischer Wiederaufbaufonds für die Ukraine hinzu. Da werde es noch schwieriger sicherzustellen, dass das Geld ordentlich abfließe.
Auch Gräßle hält den neuen Fonds für wenig zielführend. „NextGenerationEU ist das größte und das am schlechtesten konstruierte Programm, das die EU jemals aufgelegt hat.“ Hauptprofiteur werde nicht, wie bei anderen Strukturfördermitteln, Osteuropa sein, sondern Italien – ein Gründungsmitglied der EU „mit ausfinanzierten Regionen“. Scheller sorgt sich um das für Deutschland damit verbundene Haftungsrisiko. Es sei zu hoffen, dass in Italien die Finanzpolizei ein Auge auf diese Mittel habe. Gräßle warnt aber davor, mit nordischer Überheblichkeit auf Italien zu blicken. Dort stünden 50 000 Finanzbeamte bereit, jedes einzelne Projekt würde geprüft – ganz anders als in Deutschland.
Auch Deutschland erhalte aus dem Corona-Fonds 25 Milliarden jährlich, die ja erst einmal verplant und ausgegeben werden müssten – „das sind verlorene Zuschüsse“, so Gräßle. Sie habe sehr gern als Europaabgeordnete gearbeitet, sei jetzt aber froh, den Job gewechselt zu haben. Die EU betätige sich als Inflationstreiber und setze damit ihren guten Ruf aufs Spiel. „Wenn das Geld tatsächlich ankommt, ist es ja für die jetzt aktive Generation erst einmal gut“, entgegnet Scheller. Die Rechnung aber müssten zukünftige Generationen bezahlen. In diesem Jahr gebe der Bund vier Milliarden Euro an Zinsen aus, im kommenden Jahr sei es das Zehnfache. Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass man die Probleme des Klimawandels nicht an die Nachkommen weiter reichen dürfe – das Gleiche sollte auch für die Staatsverschuldung gelten.
„Wir können nicht mehr alles finanzieren“, ist Scheller überzeugt. „Der Staat sollte sich nur vornehmen, was er schaffen kann“. Rentenzuschüsse, Beihilfen in jeder Krise – das erdrossele den Staat. Viele Zuschüsse würden zudem ohne Einzelfallprüfung gezahlt, weil die Verwaltung überfordert sei. Statt zu sparen, habe man 2014 bis 2019 „auf die Konsumtube gedrückt – das rächt sich jetzt bitter.“ Sehr solvente Länder stünden einem hoch verschuldeten Bund gegenüber. Diese Situation habe es in Deutschland noch nie gegeben. „Es kann nicht sein, dass die Landesregierungen den Bund so ausplündern. Die Unterbringung von Flüchtlingen, die Ausstattung von Schulen – das sind originäre Landesaufgaben!“, entrüstet sich Scheller.
Und Gräßle fällt ein: „Gut, dass wir die Schuldenbremse noch haben – zumindest de jure …“ Ihre jungen Kollegen im Bundestag nimmt sie als „beseelt“ war. „Nicht alle teilen die Analyse, dass wir Probleme haben bis zur Halskrause.“ Das sei ein „Tsunami“, der da auf den Staat zurolle. 17 Prozent der Kunden könnten ihre Energierechnung nicht mehr bezahlen – im Vergleich zu 6 Prozent vor der Krise. Doch beide Gesprächspartner sind sich einig: Hilfen nach dem Gießkannenprinzip sind nicht die richtige Antwort. Zur staatlichen Beteiligung bei Uniper sagt Gräßle: „Herr Scheller, ich habe da den Überblick verloren. Könnten Sie sich da mal drüber beugen lassen? Ich bin mir nicht mehr sicher, ob in diesem Flugzeug noch ein Pilot sitzt.“
20.10.22
Rebecca Harms: Frisch zurück aus Kiew
Ihr Name fällt, wenn nostalgische Bilder vom Widerstand gegen das Atomendlager in Gorleben über den Bildschirm flimmern. Das war in den späten 70er Jahren. Deutlich weniger bekannt ist, dass Rebecca Harms neben dem CDU-Politiker Elmar Brok Gesicht und Stimme der Vertreter des Europäischen Parlaments auf dem legendären „Euromaidan“ in Kiew war. Auch Brok warb bei seinem Besuch in der „Villa Weingärtner“ Anfang Mai vehement dafür, die Ukraine mit allen Mitteln zu unterstützen und weiter aufzurüsten. Beide Politiker sind sich einig, dass die Deutschen zu mehr Opfern bereit sein sollten angesichts der unbeschreiblichen Leiden, die das überfallene Land erdulden muss.
Die Frage, ob die Ukraine fit sei für eine EU-Aufnahme im Schnelldurchgang beantwortet Harms mit einem klaren Ja. Sie schwärmt vom kreativen Potential des Landes, das für die EU „eine große Bereicherung“ bedeuten könne. Auch gegen eine Laufzeitverlängerung der in Deutschland noch am Netz befindlichen Akw hat die langjährige Antiatomkraft-Aktivistin nichts einzuwenden. Da keine neuen Brennstäbe angeschafft würden, entstehe „kein Krümel zusätzlicher Atommüll“.
Eberhard Pohl, bis 2019 ständiger Vertreter Deutschlands bei der OSZE in Wien, machte als Moderator und Gesprächspartner deutlich, dass er die rosige Zukunftsvision einer EU aus 35 Mitgliedsstaaten, darunter Ukraine und Moldau, nicht teilt. Die nationalen Regierungen dürften die Vorbehalte der Bevölkerung gegen eine Überdehnung nicht aus dem Blick verlieren. Auch bedeute eine solche Erweiterung das Ende der EU, wie wir sie kennen. Harms dagegen argumentierte mit den veränderten geopolitischen Bedingungen angesichts der russischen Bedrohung. Die Zeit sei vorbei, wo die alten Westländer das Wesen der EU geprägt hätten und „neue“ Mitglieder wie Polen oder Litauen nur Zaungäste gewesen seien.
23.09.22
Reinhard Piechocki: Ein Garten Eden inmitten der Hölle
Seit vielen Jahren befasst sich Reinhard Piechocki, Autor zahlreicher Aufsätze und musikhistorischer Werke, mit der Rolle der Musik in extremen Lebenssituationen. Bei seinen Recherchen stieß er auf die 1903 geborene Pianistin Alice Herz-Sommer, die nach der Deportation ihrer Mutter in Prag 1941 alle 24 Chopin-Etüden einstudierte und später im KZ Theresienstadt auch vortrug. Reinhard lernte die fast hundertjährige Alice in London kennen. In der Villa Weingärtner erzählte er wie immer hautnah und humorvoll von seinen Begegnungen mit der großen Künstlerin. Am Klavier legte er dar, was die Etuden von Chopin so ergreifend, aber auch technisch herausfordernd macht.
Der legendäre Chopin-Interpret Arthur Rubinstein – oft bezeichnet als der größte Pianist des 20. Jahrhunderts – hatte vor den extrem schwierigen Chopin-Etüden „immer Angst“ und wagte nie, sie alle 24 vorzutragen oder vollständig aufzunehmen. Für die jüdische Pianistin Alice Herz-Sommer wurden sie zum Rettungsanker: Völlig verzweifelt über den Abtransport ihrer Mutter irrte sie 1941 durch Prag, als sie plötzlich die Eingebung hatte: „Übe die 24 Etüden- das wird dich retten!“. Zwei Jahre währte die Zeit exzessivsten Übens, ehe auch sie mit ihrem Mann und ihrem sechsjährigen Sohn in das KZ Theresienstadt eingeliefert wurde. Dort gab sie vor zweihundert Häftlingen ein Konzert: die 24 Etüden von Frederik Chopin.
Das Buch erschien in Alices 103tem Lebensjahr. Zu der Zeit spielte sie noch täglich Klavier. Es wurde in viele Sprachen übersetzt und machte die betagte Künstlerin zu einer Berühmtheit. Mehrere Dokumentarfilme sind über sie entstanden, kürzlich brachten die Hamburger Kammerspiele ihre Geschichte auf die Bühne. Aus Originalaufnahmen der Künstlerin aus den 60er und 80er Jahren ließ Piechocki zwei CDs fertigen, die unter reinhard.piechocki@t-online.de ebenso bestellt werden können wie das bei Droemer erschienene Buch „Ein Garten Eden inmitten der Hölle“.
17.08.22
Trio Poesie entführt uns ins Prag der 1920er Jahre
So groß war das Interesse an diesem literarisch-musikalischen Spaziergang durch die versunkene Welt osteuropäischer Caféhäuser, dass der Villa Weingärtner beinah die Stühle ausgegangen wären. Aber am Ende wurde auch für spontan an der Abendkasse sich einfindende Gäste noch ein Plätzchen gefunden. Angelehnt an das Buch von Hartmut Binder: „Gestern Abend im Café. Kafkas versunkene Welt der Prager Kaffeehäuser und Nachtlokale“ hatten Thomas Wunder (Sänger und Liedermacher) und die beiden Gitarristen Stefan Henn und Heribert Blume ein unterhaltsames Potpourri vorbereitet. Die drei sind als Trio Poesie viel im Westerwald und am Mittelrhein unterwegs, haben aber auch an der Ostsee ihre Fans. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit den Westerwälder Literaturtagen statt.
21.07.22
5. Europäischer Salon mit Jochen Homann
Bis zum Ukrainekrieg wussten nur Spezialisten, welche Aufgaben die Bundesnetzagentur wahrnimmt. Seither steht die Behörde mit etwa 3000 Mitarbeitern häufig in den Schlagzeilen, wenn es um mögliche Engpässe bei der Gasversorgung geht. Deshalb war Jochen Homann (69) am 21. Juli ein gefragter Gast in der Villa Weingärtner. Der gelernte Volkswirt leitete die erst 1998 gegründete Behörde von 2012 bis Februar 2022. Ihre Aufgabe ist es, für fairen Wettbewerb in Sektoren zu sorgen, in denen natürliche Monopole eine Rolle spielen: Strom, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahn. Die Fragen stellte der Wirtschaftsjournalist Tom Weingärtner.
F: Herr Homann, vielleicht können Sie uns noch besser erklären, was die Bundesnetzagentur macht?
A: Wir sind die wichtigste Wettbewerbsbehörde. Das sage ich immer besonders gerne, wenn ein Kollege vom Bundeskartellamt in der Nähe ist … Wenn es marktmächtige Unternehmen gibt, wie zum Beispiel die Telekom, sorgen wir dafür, dass Mitbewerber diese Netze auch nutzen können – und das zu fairen Preisen. Wir haben aber auch viele technische Bereiche – zum Beispiel einen Prüf- und Messdienst. Extrem wichtig ist es, in der Nähe von Flughäfen dafür zu sorgen, dass keine Funkstörungen auftreten. Deshalb haben wir etwa 50 Einsatzstellen in ganz Deutschland, die schnell einsatzbereit sein können.
F: Als Journalist habe ich in Bonn die Auflösung des Postministeriums und die Gründung der Bundesnetzagentur eng verfolgt. 25 Jahre später muss man doch feststellen, dass der Wettbewerb in all den Sektoren, die damals liberalisiert wurden, ziemlich zäh läuft. Die Bahn zum Beispiel hat den Laden noch ziemlich fest im Griff.
A: Ursprünglich war der Bestand der Agentur für zehn Jahre geplant. Dann sollten alle Probleme erledigt sein. Jetzt sind wir 24 Jahre alt, die Aufgaben sind immer weiter gewachsen – gestartet sind wir mit Post und Telekommunikation, erst später kam die Energie dazu, dann die Eisenbahn – und jetzt sind wir auch zuständig für die Genehmigung von Stromnetzen. Das hat mit Regulierung eigentlich gar nichts zu tun. Es ist einerseits ein Kompliment für die Bundesnetzagentur, zeigt aber auch, dass es schwer ist, in diesen Bereichen für Wettbewerb zu sorgen. Im Bereich von Strom und Telekommunikation waren wir recht erfolgreich. Im Bereich Post und Bahn ist es extrem schwierig. Das hat etwas mit den Eigentumsverhältnissen zu tun, mit dem engen Zugang zur Politik, wo man seine Interessen besser vertreten kann als die privaten Wettbewerber. Der Einfluss dieser beiden Unternehmen über die Politik ist relativ groß.
F: Was waren in Ihrer Amtszeit aus Ihrer Sicht die größten Erfolge?
A: Es gibt nicht das eine Highlight. Aus meiner Sicht – da werden sich jetzt viele wundern – ist der Stromnetzausbau gegen erhebliche Widerstände ein Erfolg. Wir sind sehr viel weiter, als es in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Das durchzusetzen gegen lokale Bürgerinitiativen, gegen die Landespolitik, das ist ein dickes Brett, mit dem sich die Bundesnetzagentur in den vergangenen zehn Jahren beschäftigt hat und wo wir einiges erreicht haben.
F: Und wo sind Sie vielleicht nicht so weit gekommen, wie Sie es gewünscht hätten?
A: Die größte Pleite, die ich erlebt habe? Dass wir es auf unseren Sommerfesten beim Kickertournier mit der Mannschaft unseres Präsidiums nie ins Endspiel geschafft haben. (Gelächter) Das liegt zum Teil an den Schiedsrichtern, vermute ich (noch mehr Gelächter), aber sicher auch an uns. Im Ernst: Die ganz große Pleite hat es nicht gegeben. An jeder Entscheidung von uns gibt es natürlich erhebliche Kritik von denen, die negativ betroffen sind. Und das endet dann praktisch immer vor Gericht. Als ich ins Amt kam, hatten wir 1800 Verfahren anhängig. Seither sind es nicht weniger geworden. Zum Teil werden im Telekommunikationsbereich noch Entscheidungen von uns vor Gericht verhandelt, wo die Technik inzwischen längst nicht mehr existiert. Das ist schon belastend über die Jahre.
F: Bevor wir aufs Thema Energie kommen, eine Frage zu Huawei. Eine Zeitlang sah es ja so aus, als müssten wir die mobile Technik in China kaufen. Ist Huawei inzwischen aus dem 5-G-Geschäft ausgeschieden? Man hat ja lange nichts davon gehört. Und wie fanden Sie den Umgang mit Huawei?
A: Wir waren der Meinung, dass Technik, die sicher ist, entsprechend eingesetzt werden kann – egal wo sie herkommt. Dann hat sich, getrieben vom Auswärtigen Amt, eine politische Diskussion entwickelt mit dem Verdacht, dass da etwas nicht koscher sein könnte. Das mündete in technische Vorgaben, die wir zusammen mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik gemacht haben. Die Politik – und das ist ihr gutes Recht – hat Huawei dann unter Generalverdacht gestellt. Faktisch ist chinesische Technik derzeit noch in den Netzen. Doch dieser Bereich entwickelt sich technisch so rasch, dass die Unternehmen die Komponenten schrittweise ersetzen.
F: Kommen wir nun zum Energiethema. Im Prinzip gibt es ja Vorschriften für den Fall, dass die Gasversorgung nicht gesichert ist. Dabei hatte man aber technische Pannen im Blick. Müssen die Notfallpläne jetzt nachgebessert werden?
A: Auf jeden Fall. Die EU-Kommission hat dazu ja einen Vorschlag gemacht. Die aktuelle Regel lautet, dass es bestimmte geschützte Kunden gibt, dazu gehören private Haushalte, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen – was man als systemrelevant bezeichnen kann. Umgekehrt heißt das, dass der Industrie zuerst das Gas reduziert wird. Viele Bereiche der Industrie sagen nun: Wir sind auch systemrelevant. Die Glasindustrie, die die Röhrchen herstellt für Medizinprodukte oder Produzenten von Lebensmittelverpackung. Die Trennung lässt sich also in dieser Form nicht durchhalten. Deshalb wird das nun auf europäischer und nationaler Ebene diskutiert. Ich denke, wenn es wirklich zu einer Mangellage käme, müssten auch die privaten Haushalte einen Beitrag leisten. Über Herrn Habecks Sparvorschläge kann man lächeln, aber sie zeigen doch, dass die Grenzen etwas verschoben werden zugunsten der Industrie.
Welchen Beitrag könnten denn die privaten Haushalte leisten? Es ist ja wohl technisch schwierig, den Druck herunter zu fahren.
Sie müssen halt sparen. Und das werden wir wohl alle tun, wenn wir merken, wie teuer das in Zukunft wird. Bei den meisten Verbrauchern sind die Preissteigerungen ja noch gar nicht angekommen. Die Kriegsfolgen werden sich erst in den Abrechnungen 23/24 niederschlagen. Das wird einen wesentlichen Beitrag leisten – mehr als wenn man vorschreibt, wie warm die Wohnung noch sein darf.
F: Die Wirtschaft legt großen Wert darauf, über mögliche Kürzungen rechtzeitig informiert zu werden. Ist das realistisch?
A: Nein, natürlich nicht. Das gehört zu den größten Problemen, die mein Nachfolger im Moment hat. Jeder trägt vor, dass er das Gas am nötigsten braucht. Eine allgemeine Regel, wie das verteilt wird, kann es nicht geben. Die Bundesnetzagentur sammelt derzeit Informationen aus den Unternehmen ein, um heraus zu finden, wer wie viel Gas verwendet – und wofür. Damit die Entscheidungen im hoffentlich nicht eintretenden Fall gut begründbar sind. Der Ärger ist vorprogrammiert.
F: Sollte Russland demnächst die Lieferungen ganz einstellen, kämen wir auf zwei Drittel bis drei Viertel der bisherigen Menge. Was hätte das für Folgen?
A: Wir laufen in einen Winter hinein, wo die angestrebten Füllstände – 95 Prozent zum 1. November – vermutlich nicht erreichbar sind. Selbst wenn Nord Stream 1 weiter zu 40 Prozent befüllt wird. Im darauf folgenden Winter wird es noch enger, weil im Frühjahr die Gasspeicher leer sein werden. Sie von Null wieder aufzufüllen wird schwer. Flüssiggas ist gut und wichtig, hilft uns aber nicht, die ganze Lücke zu füllen. Wir haben vier schwimmende LNG-Terminals in Auftrag gegeben, zwei sollen zum Winter da sein, die können einiges verarbeiten – falls es überhaupt ankommt. Die Tanker gibt es ja auch nicht in Massen auf den Meeren. Am Ende bleibt eine Lücke. Wir werden im Winter ein Problem haben. Ob daraus eine Mangellage entsteht oder Einsparungen ausreichen – das kann heute keiner seriös vorhersagen. Es ist vollkommen richtig, sich auf den schlimmsten Fall vorzubereiten. Und das tut die Politik.
F: Wie groß muss denn die Lücke sein, damit man von einem Mangel sprechen kann?
A: Die Gasmangellage ist gegeben, wenn das Bundeswirtschaftsministerium sie erklärt. (Gelächter). Ja. Wir haben ja derzeit die zweite Notfallstufe. Wenn das Ministerium die dritte Stufe erklärt, wird die Netzagentur zum Bundeslastverteiler und muss anfangen, Gas zuzuteilen – eine Situation, die niemand will. Das versucht man aber mit allen Mitteln zu verhindern.
F: Deutschland ist ja auch ein Umschlagplatz für Tschechien, Polen, die Ukraine. Welche vertraglichen Verpflichtungen gibt es da?
A: Das Gas geht dorthin, wo es gekauft wird. Es gibt aber einen europäischen Solidaritätsmechanismus, also die gegenseitige Verpflichtung, dem Nachbarn in einer Notlage zu helfen. Wir müssen theoretisch liefern, wenn die Nachbarn nicht mehr heizen können – solange es uns möglich ist. Das gilt auch umgekehrt. Frankreich hat derzeit Gasüberschüsse. Die Polen könnten auch helfen, sind darüber aber nicht glücklich, weil wir sie bei Nord Stream 2 nicht so gut behandelt haben. Die Franzosen setzen darauf, dass wir ihnen Strom liefern können. In diesem Kontext hat die Akw-Diskussion Sinn – nicht als Gasersatz, sondern im Austausch mit den Nachbarn. Ob es dann im Ernstfall die Bereitschaft wirklich gibt? Derzeit versucht das Wirtschaftsministerium das ja mit Abkommen abzusichern. Mit Österreich ist das auf dem Wege, auch mit Tschechien.
F: Sie haben gerade Nord Stream 2 erwähnt. Denken Sie, dass die Leitung jemals in Betrieb gehen wird?
A: Das kann ich mir nicht vorstellen. Jetzt schon gar nicht mehr. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass wir darauf eingehen könnten, dass Putin im Prinzip kein Gas mehr liefert, aber für Nord Stream 2 vielleicht doch. Die Leitung kann man nur abschreiben.
7./8.05.22
Offene Ateliers 2022
Nach zwei coronabedingt geplatzten Anläufen war Unkel in diesem Jahr wieder Schauplatz der „Offenen Ateliers“. Künstler der Verbandsgemeinde öffnen dann ihre Werkstatttüren und ermöglichen den Besuchern einen Blick auf den Entstehungsprozess und die Endprodukte ihrer Kunst. Wer genug Platz hat, nimmt Gäste von außerhalb auf. Die Villa Weingärtner fühlt sich geehrt, dass Gabriele Geier (Stein, Tonerde, Zeichnungen) und Marianne Troll (Mobiles, Seidenpapier, Worte) die ehemalige Galerie Oltmanns als Schauraum für ihre Arbeiten gewählt haben.
03.05.22
Vierter Europäischer Salon mit Elmar Brok
„Solange die Ukrainer kämpfen wollen, sollten wir sie unterstützen“
Im Gespräch mit Dirk Brengelmann geht der Ex-Europaabgeordnete hart mit deutschen Militärs und beschwichtigenden Putinverstehern ins Gericht.
Die außenpolitische Lage bleibt dramatisch und das Bedürfnis nach Einordnung und Austausch ist unvermindert groß. Deshalb lud die Villa Weingärtner den erfahrenden Außenpolitiker und Spezialisten für den europäischen Reformprozess Elmar Brok nach Unkel ein. Die Fragen stellte Dirk Brengelmann, Ex-Diplomat und Dozent für Internationale Beziehungen an der der Universität Bonn. Brok saß 39 Jahre lang im Europaparlament, engagierte sich im Verfassungskonvent und leitete lange den Auswärtigen Ausschuss des Hohen Hauses. Noch heute ist der 76jährige CDU-Politiker als Vizepräsident der Christlich Demokratischen Internationale viel auf Reisen und im ständigen Austausch mit Regierungsverantwortlichen.
Von einem Abendessen mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki berichtete Brok ausführlich, um deutlich zu machen, wie selten sich die Deutschen in ihre östlichen Nachbarn hineinversetzen. Als Folge des Hitler-Stalin-Paktes hatte Morawieckis Familie ihre Heimat verlassen müssen – so wie sechs Jahre später die deutschstämmigen Menschen aus Westpolen vertrieben wurden. „Das weiß in Deutschland kein Mensch. Und wenn wir dann als die Lehrmeister auftreten, die angeblich als einzige was von Friedenspolitik verstehen, dann ist das peinlich.“
Wenn er heute höre, man dürfe sich aus historischer Verantwortung gegenüber Russland nicht auf die ukrainische Seite schlagen, könne er das nicht nachvollziehen. Viele, die sich heute aus humanitären Gründen gegen Waffenlieferungen aussprächen, seien doch in Wahrheit nur besorgt wegen der hohen Energie- und Benzinpreise. „Zu sagen, wir leiden unter Preissteigerungen und deshalb sollen die Ukrainer kapitulieren – das ist eine unanständige Vorstellung, die unter der Hand bei vielen Menschen auftaucht.“
Scharfe Kritik übte Brok an den energiepolitischen Entscheidungen der vergangenen Jahre. „Rosneft, wo Gasgerd (Gerhard Schröder) ja auch Aufsichtsratsvorsitzender ist, hat inzwischen Anteile an den fünf größten deutschen Raffinerien. In Schwedt, der größten ostdeutschen Raffinerie, halten sie seit Januar 97,5 Prozent. Wer hat das eigentlich genehmigt? Wo war das Kartellamt? Wo ist das Bundeswirtschaftsministerium?“ Gazprom halte 25 Prozent Anteile an den deutschen Gasspeichern. Vergangenes Frühjahr seien sie statt wie vorgesehen zu 80 Prozent nur zu 3 Prozent gefüllt gewesen. Er frage sich, wer derartige Verträge genehmige – sie seien schließlich sicherheitsrelevant.
Was die Zukunft der europäischen Verteidigungspolitik angeht, hofft Brok auf ein Umdenken in Berlin. Dort sei man noch immer in rein nationalen Mustern gefangen. „Wie kann man, nachdem wir in der Energiepolitik die größten Tolpatsche waren, jetzt auch noch die Verteidigung in den Sand setzen? Wie kann man exklusiv für Deutschland einen Raketenabwehrschirm planen, den Iron Dome? Man muss doch zumindest die mittel- und osteuropäischen Nachbarn einbeziehen. Wir in Deutschland begreifen nicht, dass wir dabei sind das Vertrauen zu verspielen, das wir über 40,50 Jahre in der EU gewonnen haben.“
Noch immer leiste man sich in Europa 280 unterschiedliche Waffensysteme. Die USA beschränkten sich auf 25. Deutschland müsse bereit sein, seine Standards anzupassen. Die Zeiten, wo sich jeder General Sonderausstattungen in seinen Panzer habe einbauen lassen, seien vorbei. Der Ukrainekonflikt wirke – so schlimm das auch sei – als Katalysator in dieser Frage. „Viele Länder sagen nun, dass wir bei der Außen- und Sicherheitspolitik mit dem Einstimmigkeitsprinzip nicht mehr weiterkommen. Wladimir Putin sollte man ein Denkmal setzen als Gründervater der EU. Der hat es geschafft, EU und Nato so zusammen zu bringen, wie es jahrzehntelang niemandem mehr gelungen ist.“
09.04.22
Klavierkonzert mit Katerina Dolke
Auf dem Programm: Russische und ukrainische Spätromantik von Peter Tschaikowsky, Basiliy Barwinsky, Igor Schamo und Sergej Rachmaninoff und Werke von Volker Hermanns, einem Komponisten aus der Region. Und in der Pause Borschtsch nach ukrainischem Rezept und Blini mit Sauerrahm, Lachs und Heringssalat – dazu Rote-Beete-Carpaccio.
Die im ukrainischen Odessa geborene Pianistin lebt mit dem deutschen Ehemann und ihrer Familie in Diez an der Lahn.
Bereits im Alter von fünf Jahren erhielt sie den ersten Klavierunterricht und wurde in die Begabtenschule des Konservatoriums Odessa aufgenommen, wo sie neben Klavier auch Komposition erlernte. Nach erfolgreichem Abschluss wechselte sie in das staatliche Konservatorium in Odessa.
Es folgte ein Stipendium an der Musikhochschule Freiburg bei Prof. Michel Beroff, ein zweijähriges Aufbaustudium für Kammermusik bei Prof. Michael Baumann, ein Ergänzungsstudium für Liedinterpretation an der Musikhochschule Stuttgart und ein Ergänzungsstudium für Jazzimprovisation.
Heute ist Katerina Dolke musikpädagogisch tätig und wirkt solistisch – und sie engagiert sich dafür, dass der Krieg in ihrer Heimat in den Köpfen und Herzen präsent bleibt. In der Rhein-Lahn-Zeitung berichtete sie kürzlich von ihren Erinnerungen an Kindheit und Jugend.
„Geboren bin ich in der Sowjetunion. Meine Heimatstadt, Odessa, eine Hafenstadt, ist dafür bekannt, über 100 Nationen zu umfassen. Russen, Ukrainer, Juden, Türken, Albaner, viele Vertreter kaukasischer Nationalitäten. Das war so normal und alltäglich, dass die Frage nach der Nationalität niemanden interessiert hat. Meine ersten politischen Erinnerungen stammen aus dem Kindergarten. Eine Einwohnerin des angrenzenden Hofes hat auf die Fensterbank einen Fernseher gestellt, auf dem die Beerdigung Leonid Breschnews übertragen worden war. Die Erzieherinnen und die komplette Kindergartengruppe haben geweint. Das ist bei den Kindern ja so, dass ein Kind weint, wenn das andere weint. Leider verwächst sich diese Eigenschaft, wenn man erwachsen wird. Durch eine Volksabst. löste sich die Teilrepublik Ukraine aus der Sowjetunion – ein neues Land war geschaffen, es hieß jetzt Ukraine. Es war alles anders, und es war alles sehr schwer … In den Jahren meines Studiums wurde die ukrainische Sprache immer präsenter. Theoretisch mussten unsere Dozenten auf Ukrainisch unterrichten, was sie aber nicht konnten. … Im dritten Jahr meines Studiums wurde ich im Rahmen eines Austauschprogramms nach Deutschland geschickt und dort habe ich dann mein Studium fortgeführt. Meinen Sommerurlaub habe ich immer in Odessa verbracht – eine prächtige Meeresstadt. mit vielen Museen, mehreren Theatern und sieben Hochschulen. Das Operntheater, in dem ich als ausgebildete Pianistin meine ganze Jugend verbracht habe, ist einer der schönsten Bauten Europas.
Meine Heimat steht in Flammen. Meine Heimat ist da, wo die Bomben fallen und unschuldige Menschen sterben. Egal, ob ihre Sprache ukrainisch oder russisch ist.“
06.04.22
Europäischer Salon: Der Ukrainekrieg und die Verantwortung Europas
Aus traurigem aktuellen Anlass hatte die Villa Weingärtner in Unkel-Scheuren den zusätzlichen Abend ins Programm gehoben. Ernst-Jörg von Studnitz, von 1995 bis 2002 deutscher Botschafter in Moskau, unterhielt sich mit Volodymyr Perepadya, einem ukrainischen Germanisten, Journalisten und Historiker, der seit 2014 in Bad Honnef lebt.
Vier Tage nach Kriegsbeginn hatte von Studnitz am 28. Februar seinen „Orden der Freundschaft der Russischen Föderation“ zurückgegeben, was vom Publikum mit Beifall quittiert wurde. Er wolle „mit einem ruchlosen Zerstörer des europäischen Friedens in keiner Weise verbunden sein“, so die Begründung des erfahrenen Diplomaten. Auf die Frage von Moderatorin Daniela Weingärtner, ob man hätte wissen können, was der einsame Mann im Kreml plante, antwortete er: „Ich bin jetzt zu dem Schluss gekommen, allerdings relativ spät erst, dass Putin das, was er jetzt durchführt, schon seit Jahren vorhat.“ Putins Ziel sei es, womöglich schon seit Amtsbeginn oder früher, Russland in den Grenzen des alten Sowjetreiches wiedererstehen zu lassen.
Das glaubt auch Perepadya. Über Wolodymyr Selenskijs Wahl zum Staatspräsidenten war er zunächst nicht glücklich, hat aber seine Meinung mittlerweile revidiert. „Herr Selenskij konnte uns alle überzeugen, dass er für diese Zeitspanne die richtige Person ist. Ein tapferer Mann. Er kann die Frontlinie halten.“ Dem stimmt von Studnitz zu. „Er ist weit mehr als jemand, der früher mal ein Schauspieler war. Darüber ist er weit hinausgewachsen. Ob er auch ein Friedenspräsident sein kann, ist eine ganz andere Frage – denken Sie nur an Churchill, der nach dem Krieg von seinen Landsleuten abgewählt wurde.“
Auf die Frage, ob die NATO-Staaten sich weiter zurückhalten oder durch mehr Waffenlieferungen aktiv in den Konflikt eingreifen sollten, antwortete der Exdiplomat:„Ich glaube es ist die Stunde gekommen, wo der Westen die Ukraine mit schweren Waffen unterstützen muss. Am Boden, in der Luft und über See.“ Auf Nachfrage, ob das auch bedeuten könne, dass ukrainische Piloten von einem polnischen Flugplatz aus ins Kriegsgebiet aufsteigen und damit die NATO sehr nah ans unmittelbare Kriegsgeschehen heranrückt, relativierte er: „Eine andere Variante wären höher reichende Flugabwehrgeschütze. Die braucht die Ukraine unbedingt. Und ich vermute die Amerikaner sind an dem Punkt, die jetzt zu liefern. Und wenn überdies noch schwere Waffen am Boden, also gepanzerte Artillerie, zur Verfügung steht, dann ist keineswegs ausgeschlossen, dass die offensichtlich von Russland geplante Offensive im Osten der Ukraine auch schiefgeht.“
Harte Sanktionen hält der Exbotschafter für unumgänglich – selbst wenn sie erst mittelfristig Wirkung zeigen. Sie könnten, so seine Überzeugung, die Unzufriedenheit in Russland so weit steigern, dass der aus seiner Sicht „unumgänglich notwendige Putsch“ gegen Putin dadurch angefacht werden könnte. Sein Kollege Dirk Brengelmann, bis vor kurzem deutscher Botschafter in Den Haag, schloss die Frage an, die derzeit die deutsche Öffentlichkeit umtreibt wie keine andere: Könnte Putin sich so in die Enge getrieben fühlen, dass er zum letzten Mittel greift und Atomwaffen gegen die Ukraine oder gar die NATO zum Einsatz bringt?
Von Studnitz: „Man muss davon ausgehen, dass, wenn es einen Angriff der NATO auf russisches Territorium geben würde, die Russen nicht zögern würden, Nuklearwaffen einzusetzen.“ Dieses Szenario sei aber so gut wie ausgeschlossen. Ob aber Russland bereit sei, zu chemischen oder Atomwaffen zu greifen, wenn die Offensive im Osten der Ukraine scheitern sollte – das vermöge niemand voraus zu sagen.
Volodymyr Perepadya wurde gefragt, wie seine ukrainischen Landsleute Deutschlands Rolle in dem Konflikt bewerteten und was sie von Deutschland erwarteten. Die Antwort: „Die deutsche Hilfe besteht ja nicht nur aus Waffenlieferungen. Die finanzielle Unterstützung für die ukrainische Regierung ist enorm. Das dringt aber zu den Menschen in der Ukraine nicht hundertprozentig durch. Einige Elemente der deutschen Lieferungspolitik sorgten für geradezu tragikkomische Effekte – zum Beispiel die Zusage, 5000 Schutzhelme zu liefern.“
01.03.22
Europäischer Salon: Ist der Euro noch zu retten?
Es traf sich gut, dass die Villa Weingärtner dazu zwei kundige Gesprächspartner eingeladen hatte. Ruth Berschens, bis Sommer 2021 Handelsblatt-Korrespondentin in Brüssel, befragte Günter Grosche, den das Thema in den 1980er Jahren beim IWF in Washington, später im Bundesfinanzministerium, in der EU-Kommission in Brüssel und zuletzt als Sonderberater von Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker nie losgelassen hat.
Natürlich verfügen auch sie nicht über die berühmte Kristallkugel. Aber Expertise und Erfahrung machen es möglich, die Situation auf Parallelen in der Vergangenheit abzuklopfen und einen Blick in die Zukunft zu wagen. Das Bedürfnis der Gäste war groß, sich auszutauschen und die verwirrende Gegenwart wenigstens ein Stück weit gemeinsam einzuordnen. Im Anschluss setzte sich der Abend in kleinen Gruppen, beim Wein, noch länger fort.
22.01.22
Märchen mit allen Sinnen – des Zyklus vierter und letzter Teil
Alles geht einmal zu Ende – und das war wohl auch der Grund dafür, dass wir beim Abschlussabend von Griseldis noch einmal viele Stammgäste unter den Märchenfans bei uns begrüßen durften. Es sei nicht leicht gewesen, so die Künstlerin, ein Erzählprogramm zusammenzustellen, das sich mit dem am wenigsten greifbaren und flüchtigsten aller Elemente befasst: Mit der Luft. Doch Griseldis suchte und wurde fündig: Im fernen Indien, in China und im Orient, aber auch bei uns in Deutschland und in Irland. Die Zuschauer entließen sie nach langem Applaus und dem Versprechen, gelegentlich wieder in der Villa Weingärtner vorbei zu schauen.
Die Pausenleckereien waren wie immer mund- und themengerecht. Serviert wurden Windbeutel mit Lachs und Geflügelsalat.
26.09.2021
Märchen mit allen Sinnen – des Zyklus dritter Teil
Das Geschehen unter oder in der Erde ist sehr oft ein Prozess der Reifung, der Entwicklung, die Erde versorgt uns mit Nahrung und bringt die Wälder hervor. Nicht zuletzt zeigt sich ihre Bedeutung in der Gestalt der Erdgöttin, die schon in vorchristlicher Zeit Schutz und Hilfe bot. Sie ist so wichtig, dass sie vom Christentum bisweilen in die Gestalt der Maria projiziert wurde, weil die Menschen sich ihre Göttin nicht nehmen lassen wollten.
Wie immer hatte sich Griseldis intensiv vorbereitet auf diesen Abend, bei dem sich alle Märchen ums Thema Erde drehen sollten. Ihre Erläuterungen klingen „erdenschwer“, aber es gab auch viel Gelegenheit zum Schmunzeln und Lachen – wenn zum Beispiel die Erzählerin für einen Moment in die Haut der temporeichen Gazelle schlüpfte oder als verschmitztes Schildkrötlein, ein kleines Lied auf den Lippen, den Namen des Zauberbaumes durch die Savanne, durch die Steppe zuverlässig zu den wartenden Tieren des Waldes trug …
Auch diesmal passte sich der Koch dem Thema an: Es gab Wintersuppe aus Wurzelgemüsen und würzigen Kräuterquark mit … natürlich … Erdäpfeln.
26.09.2021
Wahlparty
Und wieder war die Berliner Prominenz zu Gast in Unkel – wenn auch nur via Bildschirm. Viele hatten der Idee etwas abgewinnen können, den Ausgang des Wahldramas gemeinsam zu verfolgen. Für ein paar Stunden wurde die Villa zum Marktplatz der Prognosen und Prophezeiungen – inklusive Wahltoto. Die präzisesten Tipps wurden mit Wein aus der Region belohnt.
11.09.2021
Goethe, Twain & Co
Nach Unkel reisen, um in Bonn spazieren zu gehen? Den Gästen der Villa Weingärtner schien das alles andere als absurd, zumal der laue Spätsommerabend ideal geeignet war, um einige schöne Stunden im Innenhof zu verbringen. Lariassa Lae und Rainer Selmann nahmen uns mit auf einen literarisch-historischen Spaziergang durch die traditionsreiche Universitätsstadt am Rhein. Dazu servierte Tom Weingärtner kulinarische Kleinigkeiten, die Alexandre Dumas das Grausen lehrten, den deutschen Gästen aber ausgezeichnet mundeten. In der Pause weckte Laes selbst kreierte Schmuck-Kollektion viel Interesse.
Wir erfuhren, wo Pirandello schlief, Goethe nasse Füße bekam, Schmidtbonn in den Brunnen fiel und Johanna zu ihrem Kinkel kam. Schauten mit Mark Twain amüsiert einem Fußballspiel vor dem Arndthaus zu. Hörten eine Nationalhymne aus Liebeskummer.
Die erstaunlich intensive Abendsonne ließ die Kontraste auf der Leinwand gelegentlich verblassen, doch das tat dem amüsant-anekdotischen Vortrag mit Ausschnitten aus den Werken von Autoren, die Bonn besuchten, sich mit Bonn befassten oder von dort stammten keinerlei Abbruch.
04.09.2021
Märchen mit allen Sinnen – des Zyklus zweiter Teil
„Ach so schön, dass niemand weiß …“ Doch tatsächlich weiß jedes Kind, wie der Gnom heißt, der da ums Feuer tanzt. Nach der Premiere, die im Juni dem „Wasser“ gewidmet war, wandte sich Griseldis dieses Mal dem Feuer zu. Es ist ebenso ambivalent – kann als Zeichen von Wärme und Hoffnung, aber auch als Element der Zerstörung begriffen werden und spielt in zahlreichen Märchen, die Griseldis für uns aufgespürt hat, eine zentrale Rolle.
Je nachdem wo man lebt und was man auf die Speisekarte setzt, kann man ohne Feuer auskommen – in der Villa Weingärtner aber gab es dieses Mal natürlich Gemüse und Würstchen vom Grill, und im Hof loderten die Feuerkörbe.
Mit dem Feuer haben die Menschen Licht und Wärme zu sich geholt und zugleich eine tödliche Gefahr heraufbeschworen. Entsprechend bedrohlich sind oft die Märchen, die sich mit diesem Element befassen, wie Griseldis in ihren Erzählungen eindrucksvoll zeigte. Sie sind kein Kinderprogramm – oder würden Sie einer Siebenjährigen einen Tatort zeigen, der von Kindesentführung erzählt, in dem Väter ihre Töchter reichen Männern anbieten und Männer sich Frauen holen, um sich von ihnen das Geld heranschaffen zu lassen? Das sind Themen für Erwachsene – und das Publikum hing auch dieses Mal an Griseldis‘ Lippen.
Viele Stammgäste meldeten sich gleich an für den 27. November, wenn wieder Märchenzeit ist in der Villa Weingärtner. Dann wird sich alles ums dritte Element drehen, die Erde, und wieder wird Tom Weingärtner dazu passende Speisen zusammenstellen.
01.09.2021
Erster Europäischer Salon
Als die Idee entstand, in der Villa Weingärtner einen „Europäischen Salon“ aufzulegen, war nicht zu ahnen, dass gleich das erste Thema so tagespolitisch brisant sein würde. Zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik tauschten sich im bis zum letzten Platz gefüllten Saal zwei erfahrene Praktiker aus: Wilhelm Schönfelder, der von 1999 bis 2007 Ständiger Vertreter bei der EU in Brüssel war, und Eberhard Pohl, zuletzt Ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei der OSZE in Wien.
Beide rangen mit der Frage, wie sich Europa künftig unabhängiger von amerikanischen außenpolitischen Alleingängen machen könnte – über das gleiche Problem zerbrechen sich auf EU-Ebene auch die zuständigen Minister die Köpfe.
Eberhard Pohl glaubt nicht, dass die Entscheidungsstrukturen in der EU schnell umgebaut werden können. „Europa würde in Gremien länger als eine Woche beraten, würde ich vorhersagen. Und es fehlen die Fähigkeiten. Ich glaube, wir können das nicht.“ Schönfelder stimmte zu. „Ohne logistische Hilfe der Amerikaner würde sich die Bundeswehr im Westerwald verlaufen.“ Doch er mahnte, dass die europäische Verteidigungsbereitschaft angesichts der neuen weltpolitischen Konstellation stärker werden müsse.
Nach dem Ende der Veranstaltung redeten sich die aus Brüssel, Bonn und der näheren Umgebung angereisten Gäste noch lange im Innenhof der Villa die Köpfe heiß.
31.07.21
Erotisches in der Villa Weingärtner
Was im Spiel der Geschlechter als erotisch empfunden wird, hängt von vielen Faktoren ab: Von den Tabus der jeweiligen Epoche, den Vorlieben der individuellen Person, von der Stimmung eines Augenblicks … Deshalb war die von der bildenden Künstlerin und Schauspielerin Larissa Lae geborene Idee, erotische Texte von den biblischen Anfängen bis in die Neuzeit einem modernen Publikum zu präsentieren, ein gewagtes Experiment.
Das Ergebnis, das in der Villa Weingärtner vor ausverkauftem Haus Premiere feierte, kann durchaus als gelungen bezeichnet werden. Gemeinsam mit der Gastgeberin Daniela Weingärtner hatte Lae die Texte in vielstündigen Sitzungen ausgewählt, Tom Weingärtner komponierte wie immer die kulinarische Begleitung. Passend zum Thema war der Pausenteller dieses Mal beladen mit Salaten, deren Zutaten aphrodisierende Wirkung nachgesagt wird, wie zum Beispiel Zimt, Granatapfel, Sellerie, Schokolade und Chili.
Als ebenso gehaltvoll erwies sich der literarische Stoff. Bereitwillig ließen sich die Zuhörer auf eine Reise durch die Jahrhunderte mitnehmen und richteten gemeinsam mit der Interpretin den Blick der Männer auf die Frauen – und umgekehrt.
Die bunte Mischung, die sich aus der Zusammenarbeit zweier Frauen unterschiedlicher Generationen für dieses Programm ergab, war teils humoristisch, oft romantisch, manchmal drastisch – aber stets kurzweilig, dank des großen Variationsreichtums im Ausdruck der 45jährigen Interpretin Lae.
26. und 27.06.2021
Märchen mit allen Sinnen
Mit dem Thema „Wasser“ begann Griseldis ihren neuen Zyklus, der Anfang September (s. Veranstaltungshinweise) mit dem „Feuer“ fortgesetzt wird. Nach der langen Zwangspause war der Nachholbedarf so groß, dass zwei Abende angesetzt werden konnten – beide waren ausverkauft!
Schon im vergangenen Jahr hatte Griseldis die vier Elemente in der Märchenwelt aufspüren und ihre Gäste in andere Welten entführen wollen – die Pandemie kam dazwischen. Im Juni konnte der Reigen endlich beginnen: In den Erzählungen begegnet uns das Wasser in vielfältigster Form, als Quelle, See, Fluss, Ozean, Teich oder Brunnen. Aber auch als Sinnbild für Heilung, Bedrohung, Lebensrettung, Untergang und erfrischende Labung.
Zum Thema passend wurden in den Pausen Speisen serviert, die einen Bezug zum Wasser haben – zunächst eine Suppe, die aber alles andere als wässrig war, dann eine Fischterrine mit frischem Lachs und Kabeljau vom Brüsseler Großmarkt.
Am zweiten Abend ließ uns der Wettergott spüren, dass auch er beim Thema Wasser ein Wörtchen mitzureden hat. Pünktlich zu Programmbeginn öffneten sich die Schleusen, die Dekoration aus Blumensäulen und fließenden Tüchern wurde unter Wasser gesetzt – und die Veranstaltung fand bei unverändert guter Stimmung im Saale statt.
17. Juli 202
Absurde Poesie in verrückten Zeiten
Was hätte wohl Hans Gustav Bötticher alias Joachim Ringelnatz zur „neuen Normalität“ in Coronazeiten zu sagen gehabt? Larissa Lae und Rainer Selmann brachten uns auf der Terrasse der Villa den Meister des gehobenen Blödsinns näher – und ernteten dafür Lacher und Applaus. Der Alltagsphilosoph, Kabarettist und Maler war eine bekannte Größe im Berlin der Weimarer Republik. Bis heute kennt man aus seiner der Unsinnspoesie gewidmeten Phase den „Bumerang“, der nicht zurückkehrt und die „Ameisen“, die nach Australien reisen wollten und in Altona strandeten. Doch auch auf seine romantische oder seine nachdenkliche Periode lohnt ein Blick, wie die Zuschauer an diesem mit leichter Hand hingetuschten Sommerabend erleben durften.
12.06. und 13.06. 2020
Ein Sommerabend mit Griseldis
Ein geheimnisvoller Schleier, ein Mundschutz in Corona-Zeiten – der Unterschied ist gar nicht so groß. Schon deshalb war es eine gute Idee, mit den orientalischen Erzählungen aus tausendundeiner Nacht und mit Griseldis in die „neue Normalität“ einzusteigen. Wegen der Abstandsregeln wurde das Programm auf zwei Abende verteilt – manchem Gast, der sich nach drei Monaten Zwangspause erst wieder an die Menschen gewöhnen musste, mag das gar nicht schlecht behagt haben. Auch der Rhythmus passte, denn auf einem Dorfplatz hat man Zeit, die Geschichten in Ruhe zu Ende zu erzählen. Zeit hat wohl für die meisten von uns in den vergangenen Wochen neue Bedeutung gewonnen.
Giseldis gelang es auch dieses Mal, ihre Zuhörer auf eine phantastische Reise mitzunehmen. Sie dankten es mit langem Applaus und wurden mit einer Zugabe belohnt, die es in sich hatte. Scheherazade konnte einst mit ihren Geschichten den grausamen Sultan besänftigen – in der von Maggy Ziegler bearbeiteten Fassung verstehen wir noch heute, wie das möglich war.
16. Februar 2020
Des Zyklus zweiter Teil: Die Villa Weingärtner wird närrisch
Wenn heiße Sambarhythmen pulsieren, wenn „Die kleine Hexe“ dem Geheimrat Goethe beim „Römischen Spaziergang“ die Kunst der Verwandlung näher bringt und Feridun Zaimoglu beim ersten Bützje Schiffbruch erleidet, dann ist sie da: Die Fünfte Jahreszeit oder, um es mit dem Dichter Wolfgang Müller von Königswinter zu sagen: Die lust‘ge, lust‘ge Fastnachtszeit!
Leider mussten einige unserer treuesten Fans krankheitsbedingt zuhause bleiben, andere schrieben fröhliche Mails aus dem sonnigen Süden. Joanne Unkel (Oboe) konnte wegen einer Erkältung nicht auftreten. Doch viele trotzten dem stürmischen Wetter in bunter närrischer Montur und bereicherten die Villa um zahlreiche Farbtupfer. Marc Unkel am Piano und Larissa Lae am Mikrofon schafften es mit einer Mischung aus klassischen und volkstümlichen Texten und Tönen, den dann doch gut gefüllten Saal prächtig zu unterhalten.
In der Pause wurden bei Champagner und Häppchen Bekanntschaften aufgefrischt, Kostüme bewundert, aber auch heftig über die Frage debattiert, ob die Literatur Schaden nimmt, wenn Ottfried Preußler die „Negerlein“ und „Eskimofrauen“aus dem Fastnachtskapitel der „Kleinen Hexe“ verbannt und die Türken in Cowboys verwandelt.
„Mer losse d‘r Dom en Schüüre, denn do jehöt hä hin!“, schmetterten am Ende auch die Bad Honnefer und Bonner Gäste munter mit, vielleicht ohne zu ahnen, dass es in dem ursprünglich auf den Kölner Dom gemünzten Lied in unserer Variante um die kleine Kapelle in der Ortsmitte geht – eben um unseren „Scheurener Dom“.
8. Dezember 2019
Weihnachtlicher Start für unseren Zyklus „Fünf Jahreszeiten“
Die Idee hatte Marc Unkel. Gemeinsam mit seiner Frau Joanne hatte er bei Reinhard Piechockis Brahmslesung für den musikalischen Rahmen gesorgt und sich in unserem Haus sehr wohlgefühlt. Warum also nicht dieses gelungene Konzept fortschreiben und – passend zu den Jahreszeiten – Literatur und Musik gemeinsam auf die Bühne bringen?
Der winterliche erste Teil widmete sich am Nachmittag des zweiten Advent nordischen Themen. Die erfahrene Geschichtenerzählerin Griseldis (alias Maggy Ziegler aus Bad Hönningen) berichtete Unerhörtes von König Arthus‘ Tafelrunde, entführte uns in die Anderswelt und ging mit uns im isländischen und russischen Kulturkreis auf Entdeckungsreise – umspielt und umrahmt von Joanne Unkel (Oboe, Englischhorn) und Mark Unkel (Klavier). Sie brachten ein „Irisches Lied“ von Hamilton Hardy, den 1. Satz des „Händel-Concertos“ und eine „Nocturne“ von Mark Unkel zu Gehör. In der Pause plauderten die Gäste bei einem Glas Wein am Feuerkorb und kosteten Würstchen vom Brücknerhof in Dattenberg.
Die Villa Weingärtner steht im Rheinland. Da ist es nur logisch, dass sich unsere nächste Veranstaltung in dieser Reihe mit der „fünften“ Jahreszeit beschäftigen wird, einer Anderszeit der rheinischen Art.
28. und 29. November 2019
Balladenabend mit Wolfgang Ruland
Wahrlich: Da wallte es und siedete und rauschte und zischte!
Lautmalerisch, klar artikulierend, hoch konzentriert und textsicher präsentierte der passionierte Freizeithistoriker und Schauspieler Wolfgang Ruland an zwei Abenden in unserem Haus große Balladen der Weltliteratur. Schon bei seinem ersten Besuch in der Villa Weingärtner sei ihm klar gewesen: In diesem Ambiente will ich mein Programm präsentieren! Mit kurzweiligen Einführungen steuerte Ruland einiges zum Hintergrund der Autoren und der Entstehungsgeschichte der Werke bei.
Der eine oder die andere im Publikum sprach leise mit, gehörte doch einiges im Repertoire zum klassischen Kanon von Goethe und Schiller und weckte damit bei vielen Zuhörenden Erinnerungen an den Deutschunterricht. Aber auch weniger bekannte Werke von Clemens Brentano, Heinrich Heine, Theodor Fontane und Erich Kästner waren zu entdecken – und hautnah zu erfahren.
Seine schauspielerischen und theatralischen Mittel setzt Ruland so packend ein, dass ihm die volle Aufmerksamkeit seines Publikums gewiss ist und die auftretenden Charaktere lebendig werden – sei es nun Goethes übermütiger Zauberlehrling oder Schillers rachsüchtiger Tyrann.
8. November 2019
Umgangsformen – brauchen wir die überhaupt noch?
Diese Frage beantwortete unser Gast, Ex-Diplomat und Buchautor Wolfgang Schultheiß mit einem eindeutigen Ja. Die Gäste folgten seinen teils nachdenklichen, teils amüsanten Ausführungen mit großem Interesse – und kauften hinterher gern sein Buch, das gut als Nachschlagewerk für alle Lebenslagen zu gebrauchen ist. Die Gäste der Villa Weingärtner kennen sich zwar in Fragen der Etikette recht gut aus, doch sehen viele bei ihren Enkeln noch Nachholbedarf und legen sich den Band als passendes Präsent für Weihnachten, die Abifeier oder den ersten Job beiseite.
Denn spätestens beim ersten Bewerbungsgespräch wird die Frage akut: Was ziehe ich an, wie trete ich auf, um einen möglichst günstigen Eindruck zu hinterlassen? Aber auch das normale Zusammenleben wird durch Umgangsformen angenehmer, glaubt Schultheiß, der als Diplomat 36 Berufsjahre lang täglich mit Fragen von Protokoll und Etikette zu tun hatte.
Sein Buch zum Thema kam im Frühjahr heraus, und die Resonanz, die es fand, überraschte ihn selber. Häufig werde bezweifelt, dass sich heute noch jemand für das Thema Etikette interessiere. Das Wort stammt übrigens vom Hofe des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV., wo das Zeremoniell auf einem an der Kleidung befestigten Zettel, einem Etikett, genau beschrieben war. „Und dann reden genau diese Zweifler den ganzen Abend mit mir über nichts anderes“.
Auf knapp 300 Seiten findet der Leser Antworten auf praktische, abwegige und auch kuriose Fragen. Krawatte im Büro? „Folgen Sie dem, was an Ihrem Arbeitsplatz üblich ist“, lautet der pragmatische Rat. „Und wenn Sie schon eine Krawatte tragen, lassen Sie den Knoten nicht auf Halbmast hängen. Die Spitze liegt in der Mitte der Gürtelschnalle.“ Auch andere Fragen der Kleiderordnung (langes Abendkleid oder kleines Schwarzes?) werden ausführlich behandelt.
Mit welchen Kleidungsstücken Verdienstorden zu kombinieren sind, interessierte einige Gäste der Villa Weingärtner ganz außerordentlich. Für die Herren gilt: Nur zum Frack und eigentlich auch nur dann, wenn es in der Einladung erwähnt wurde. „Als einziger in voller Ordenspracht aufzutreten, ist noch peinlicher, als inmitten ordensgeschmückter Gäste ohne Orden dazustehen“, rät Schultheiß, der Pragmatismus mehr schätzt als die reine Lehre. Damit dürfte sein Buch sogar für Panikrocker Udo Lindenberg lesenswert sein, der ja Anfang Oktober das Bundesverdienstkreuz verliehen bekam.
Wer sich für die Geschichte der Umgangsformen interessiert (der Herr geht links von der Dame, weil er dann den Degen ziehen kann, ohne sich in ihren Röcken zu verfangen) wird bei Schultheiß ebenso fündig wie jemand, der ein Bewerbungsschreiben auf Englisch verfassen muss und mit der korrekten Anrede ringt. Ein Anhang mit Formulierungsvorschlägen und einem Benimmtest, sowie ein ausführliches Register machen das Buch zusätzlich zu einem nützlichen Nachschlagewerk.
Auch in der Veranstaltungspause ging den Gästen der Gesprächsstoff nicht aus. Gerade auf europäischem Parkett, wo Gastgeberin Daniela Weingärtner als Journalistin zwei Jahrzehnte lang unterwegs war, sind Etikettefragen oft heikel. Während zum Beispiel unter Brüsselern ein einziger Wangenkuss üblich ist, legen Pariser Wert auf deren zwei. Deutsche hingegen ziehen je nach Bekanntheitsgrad ein Kopfnicken oder eine Umarmung vor.
17. August 2019
Johannes, Clara und die anderen Frauen – Lesung mit Musik in der Villa Weingärtner ausverkauft
Drei berühmte Musiker, deren Beziehungsdreieck bis heute Rätsel aufgibt: In der Villa Weingärtner in Unkel stellte Reinhard Piechocki sein neues Buch vor, das die Lebensfreundschaft zwischen Clara Schumann, Johannes Brahms und Robert Schumann aus neuem Blickwinkel beleuchtet. Die Drei sind hier in der Gegend keine Unbekannten. Auf der anderen Rheinseite im Festsaal des Bahnhofs Rolandseck feierte das Ehepaar Schumann musikalische Triumphe. Und Johannes Brahms besuchte im Mai 1896, von Claras Beerdigung kommend, Schloss Hagerhof in Bad Honnef. Noch heute erinnert das jährliche Brahms-Fest an dieses Ereignis.
Wie hat sich die innige, aber auch spannungsreiche Verbindung der drei in ihren musikalischen Werken niedergeschlagen? Wie hat Clara Schumann darauf reagiert, dass ihr engster Vertrauter Johannes Brahms sich im Lauf seines Lebens immer wieder für andere junge Musikerinnen begeistern konnte, zuletzt sogar für Claras eigene Tochter? Kenntnisreich, mit zahlreichen Anekdoten und humorvollen Episoden gewürzt, gab der Autor Antwort auf diese Fragen und Einblicke in sein neues Buch.
Mehr als 120 Jahre nach dem Tod der drei Musiker fasziniert ihr Schicksal die Nachwelt noch immer. Der Vortragsraum der Villa Weingärtner in Unkel-Scheuren war am Samstagabend bis auf den letzten Platz besetzt. Das Ende des 19. Jahrhunderts im klassizistischen Stil errichtete Gebäude bildete auch für das musikalische Begleitprogramm den perfekten Rahmen. Joanne Walter (Oboe) und Marc Unkel (Klavier) demonstrierten eindrucksvoll, welche musikalischen Früchte die Lebensfreundschaft von Clara, Robert und Johannes getragen hat. In der Pause gab es, wie immer bei den Veranstaltungen in der Villa Weingärtner, bei kleinen Spezereien und Wein Gelegenheit zum Gespräch mit dem Autor und den Musikern.
4. August 2019
Swing-Tea-Dance mit Kaffee und Keksen
Dank Sonnensegel sind wir nun für alle Wetterlagen gerüstet. So langsam spricht es sich herum, dass man in Unkel an jedem ersten Sonntag im Monat bei Vogelgezwitscher, Eistee und Kaffee Gleichgesinnte treffen, Shag, Lindy Hop und andere Tänze der flotten Zwanziger ausprobieren und Neuigkeiten aus der Szene austauschen kann.
30. Juni 2019
Swing-Dance-Kurs, Lindy Hop
Wenn das so weitergeht … dann brauchen wir bald ein Sonnen/Regensegel, um unsere Tanzkapazitäten im Freien zu erweitern! Acht Paare machten sich am 30. Juni zum zweiten Swing Tea-Dance auf den Weg nach Unkel – einige besonders Sportliche kamen sogar per E-Bike aus Düren angeradelt! Zugegeben: Bei den glühenden Temperaturen wurde viel Zeit im Schatten beim Eistee verbracht, aber die eine oder andere kesse Sohle landete dann doch auf unserem Parkett.
25. Mai 2019
Schnupperkurs im Lindy Hop, dem Modetanz der 20er Jahre
Aller Anfang ist schwer … Das gilt für die ersten Schritte beim Lindy Hop, aber auch, wenn es darum geht, eine neue Tanz-Location mit Leben zu füllen. Ein paar Mutige machten sich doch auf den Weg nach Unkel. Ihr Fazit: Wo sonst kann man zu Vogelgezwitscher unter blühenden Bäumen sein Können ausprobieren? Und wenn es mal regnet, gibt es drinnen sogar richtiges Parkett …
24. Mai 2019
Wilhelm Bleek und Karl Baedeker zu Gast in der Villa Weingärtner.
Der Autor und sein Publikum fanden großen Gefallen aneinander. Vor vollem Haus stellte Wilhelm Bleek sein neues Buch vor: „Vormärz. Deutschlands Aufbruch in die Moderne 1815 -1848.“ Im Zentrum der Lesung stand das Kapitel über Karl Baedecker, den Koblenzer Verleger und Autor zahlreicher Reiseführer. Ein Baedecker-Kenner hatte sich eingefunden und lieferte impromptu ein unterhaltsames Co-Referat zum Thema. Anschließend gab‘s beim neuen Weißburgunder aus dem Weingut Krupp in Bruchhausen Gelegenheit, die Materie zu vertiefen – wozu auch die Mitglieder des Unkeler Geschichtsvereins einiges beizutragen hatten. Immerhin hatte Unkel einst den leidenschaftlichen Forscher und Reisenden Alexander von Humboldt zu Gast – über dessen Untersuchung der „Unkelsteine“ legt ein Heft des „Geschichtsboten“ Zeugnis ab.
4. und 5. Mai 2019
Wir beteiligten uns am Tag des Offenen Ateliers in Unkel und beherbergten den Künstler Hilmar Alexander Röner aus Rheinbreitbach in unserem Veranstaltungssaal.
Kein Wetter für „Rhein in Flammen“, aber gut geeignet für eine Ateliervisite! Zwar wurden die Rekordbesucherzahlen vom Vorjahr beim 5. Wochenende der „Offenen Ateliers“ in Unkel und Scheuren nicht erreicht, aber die meisten Künstler waren doch recht zufrieden mit dem Interesse an ihrer Arbeit. Hilmar Alexander Röner saß in der „Villa Weingärtner“ im Warmen und erläuterte den Kunstinteressierten seine ausgefeilten Produktionstechniken. „Es ist immer gut, auch in der eigenen Region Präsenz zu zeigen“, so der im Nachbarort Rheinbreitbach beheimatete Künstler. Dort finden auch zwei Mal wöchentlich seine Malkurse statt (Infos unter http://www.hilmar-alexander-roener.de/)
Einige Besucher brachten in die Ausstellungsräume ihre ganz eigenen Erinnerungen mit. Röners Mutter zum Beispiel, die als junges Mädchen nach dem Krieg in diesem Haus die Milch ausgeliefert hat.
Im kleinen Seminarraum lud die Atemtherapeutin Almut Behrens zur „Atempause“ ein.
Am 4. Mai von 15.00 bis 15.30, sowie am 5. Mai von 15.00 bis 15.30 und von 17.00 bis 17.30 zeigte sie interessierten Teilnehmern, wie man in der kleinen Pause zwischendurch ohne großen Aufwand körperlich und seelisch entspannen und Energie tanken kann.